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DIY Loopen – Segen oder / und Fluch?
©️Dieser Artikel ist ursprünglich in der BloodSugarLounge erschienen und veröffentlicht!

Kann man sich im Loop-Kreis auch schwindelig loopen?
Quelle: Pixabay
Die „neuen“ Diabetes-Therapien, die derzeit auf den Markt kommen, haben oft mit digitaler Unterstützung zu tun. Ob es um Smart-Pens, Pumpen oder CGM-Systeme geht – immer spielt die Nutzung digitaler Systeme eine große Rolle. Für mich ist es natürlich eine riesige Hilfe, wenn ich meine Blut- bzw. Gewebezuckerwerte kontinuierlich angezeigt bekomme. Dazu bekomme ich Auswertungen und Statistiken aller Art.
Ein Segen!? Zunächst eine einfache Antwort: JA. Denn anhand dieser Daten kann ich unfassbar viel über meinen eigenen Diabetes lernen. Und wenn ich lerne, wie sich Werte verhalten, nach bestimmten Mahlzeiten, während des Sports oder während einer Krankheitsphase, kann ich natürlich auch meine Therapie anpassen und optimieren. Auch für Eltern, deren Kinder Diabetes haben, sind ein CGM und die daraus resultierenden Daten natürlich ein Segen. Mit Follower-Funktionen können so selbst aus der Ferne, während das Kind in der Kita oder in der Schule ist, Anpassungen in Form von Boli oder temporären Zielen vorgenommen werden.
Es ist überhaupt nicht diskutabel, dass die neuen Technologien im Bereich der Diabetes-Therapien, (und auch allgemein im medizinischen Bereich) eine große Erleichterung für alle Betroffenen sind. Es bringt eine Steigerung der Lebensqualität mit sich und vor allen Dingen, kann es Spät- und Folgeschäden verhindern helfen.
Warum treibt mich nun dieses Thema trotzdem um und lässt mich auch kritisch auf dieses Thema schauen?
Ich gehöre seit nun guten 5 Jahren zu dem Teil der Menschen mit Diabetes, die ein DIY hybrides closed Loop System nutzen (AAPS). Dies führt im Regelfall dazu, dass man noch bessere Ergebnisse erzielen kann: niedrigere HbA1c -Werte, eine bessere Time in Range (TiR), also mehr Zeit im Zielbereich (*dieser liegt offiziell zwischen 70 und 180) und eine geringere Variabilität der Werte erreicht (also weniger Schwankungen und damit eine stabilere Einstellung) … Perfekt also – sollte das dann nicht jeder nutzen?!
Wer nutzt nun solche Systeme? – Wie mein Arzt immer sagte: „so ein System nutzt nur der aufgeklärte Patient“. Was meint er damit? Tatsächlich sind es Nutzer, die oft aus IT-affinen Berufen stammen. Es sind mehr Männer als Frauen vertreten (dies sind zunächst Behauptungen, die lediglich auf meinen eigenen Beobachtungen basieren). Ich beobachte in dieser Community auch eine extreme Zielstrebigkeit, ein Streben nach genauem Verständnis des Algorithmus bis ins Detail, ein Streben nach Optimierung und einen unfassbar ausgeprägten Ehrgeiz, immer noch bessere Werte und eine noch optimalere Einstellung zu erreichen.
Der Motor, der diese Systeme hat entstehen lassen und der sie voranbringt und weiterentwickelt, birgt zugleich, aus meiner Sicht, auch ein Problem.
Viele Nutzer, die diese Systeme nutzen, sind glücklich über ihre Erfolge in der Verbesserung ihrer Einstellungen – und hier schließe ich mich natürlich ausdrücklich mit ein. Denn darum geht es ja auch!

Nun hat dies zur Folge, dass immer wieder Bilder gepostet werden, die zeigen, wie schnurgerade die Kurven sind, die Tage zeigen, in denen man 100 % im Zielbereich war, und Durchschnittswerte, die einen meinen lassen, man wäre geheilt.
Hier entsteht der Eindruck, ein Loopsystem sei die Heilung des Diabetes – um es mal ein wenig überspitzt auszudrücken. Leider postet kaum jemand, die Momente und Tage, an denen es nicht so gut läuft: wenn die Werte einfach nur Achterbahn fahren, wenn die Technik streikt, weil der Sensor ausfällt, oder die Werte einfach nur extrem abweichen, wenn die Pumpe verstopft ist, oder in denkbar unmöglichen Momenten ein lauter Alarm ertönt, wenn der Katheter abreißt oder sich die Haut an der Einstichstelle entzündet oder einfach nur die Bluetooth Verbindung zwischen den Geräten nicht stabil funktionieren will….siehe hierzu das Thema im Forum der loopercommunity.org „Fuck-up-days“ unter was-sind-beispiele-fuer-tage-an-denen-der-dia-mal-nicht-so-läuft?!
Wie geht es denn euch damit? Wollt ihr lieber die Erfolge sehen, oder braucht es auch mal Fotos und Beiträge aus der reellen Welt von Tagen, an denen es eben nicht reibungslos läuft?
All diese Situationen, in denen die Technik streikt, werden kaum öffentlich kommuniziert. Ein System, das auf technischen Komponenten und deren Zusammenarbeit angewiesen ist, kann auch immer ausfallen. Logisch. Die Pflege der Komponenten und des Systems selbst durch Updates etc. kann auch eine Menge Zeit in Anspruch nehmen. Denn, um die Sicherheit der DIY-Systeme zu gewährleisten, ist es essentiell wichtig, regelmäßige Updates zu machen und auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Auch braucht es eine gute Pflege der Backups, die man sinnvollerweise auf externen Geräten oder in einer Cloud haben sollte.
Unter Loopern beobachte ich nun schon eine gewisse Zeit lang, einen extrem hohen Anspruch an sich selbst und das System. Die Erleichterung und Steigerung der Lebensqualität, die ein solches System für das eigene Leben bringen soll, wird so auch schnell zunichte gemacht!
„Alles was unter 90% TiR ist, ist furchtbar!“ – das sind Sätze, die ich immer wieder höre. Die „Zeit im Zielbereich“ ist ein Wert, den ich auch sehr eindrücklich verfolgen kann. Ich kann ihn stündlich, täglich und über jeden beliebigen Zeitraum bestimmen. Heißt, es kann mich auch sehr unter Druck setzen, diesen zu optimieren. Während ich einen Hba1c viel weniger häufig bestimme und entsprechend träge und spät darauf reagieren kann!
Es wird ein wahnsinniger Aufwand betrieben, um immer noch bessere Werte zu erzielen und noch mehr Zeit im Zielbereich zu erreichen – dass diese kleinen Verbesserungen nicht wirklich einen gesundheitlichen Benefit bringen, wird nicht bedacht. Die letzten 10 % mehr Zeit im Zielbereich verhindern meiner Meinung nach keine Spätfolgen mehr. Im Gegenteil: ich bin der Meinung, dass diese übertriebene Selbstoptimierung, die Belastungen, die der Diabetes mit sich bringt, noch erhöht. Stichworte wie „Diabetes Distress“ und „mental burdon“ kommen mir hier direkt in den Sinn. Die psychischen Belastungen nehmen hier extrem zu und Diabetes Burnout ist keine Seltenheit. Ich verbringe auf einmal viel Zeit und Aufwand mit der Optimierung dieser Werte, anstatt mich über meine gewonnenen Freiheiten, die mir der Loop eigentlich bringen soll, zu freuen und diese zu genießen! Hier fängt man an, den Loop wie ein Hamsterrad zu nutzen – man rennt und rennt und kommt doch nirgends an! Denn Diabetes bleibt trotz aller technischen Hilfsmittel unkontrollierbar! #feraldiabetes
Eine weitere Beobachtung von mir ist, dass während der Quartalstermine beim Diabetologen kaum noch wichtige Gespräche stattfinden. Wenn man Glück hat, unterstützt der Arzt die Therapie und ist begeistert von den Ergebnissen, die ohne Zweifel beeindruckend sind. Oft erklärt man als Patient den Ärzten, wie man zu diesen guten Werten und Einstellungen kommt. Eine echte Beratung bezüglich der Therapie braucht es hier auch meistens tatsächlich nicht mehr. Es wird aber nicht gefragt „wie viel Aufwand hattest du damit?“ oder „wie belastet bist du damit?“ oder „wie zufrieden bist du selber mit deinen Ergebnissen?“…

Bei den perfekt eingestellten Loopern sollte man meines Erachtens aber gerade da mal genauer hinsehen!!!!
Quelle: Pixabay
Generell sollten diese psychologischen Fragen in den Diabetes-Praxen mehr Beachtung finden, denn Diabetes-Burnout ist ein sehr verbreitetes Problem – nicht nur unter Loopern, sondern bei allen Menschen mit Diabetes, egal welchen Typs (generell sind Menschen mit chronischen Erkrankungen hier oft betroffen). (siehe auch https://luckyloop.koeln/mein-ddg-kongress-2022-in-berlin/ hier den zweiten Teil meines Berichtes!)
Interessante Zahlen findet man auch im D.U.T. Bericht 2022. Sowohl aus Sicht der Diabetologen als auch aus Sicht der Patienten brauchen AID-Systeme einen höheren Schulungsaufwand und es gibt die Befürchtung, dass nicht alle Menschen damit zurechtkommen werden (Quelle: DUT 2022,S 18ff). Was für kommerzielle Systeme gilt, gilt aber noch viel mehr für die DIY Systeme wie AAPS und IOSLoop. Denn hier gibt es noch viel mehr individuelle Einstellungsmöglichkeiten und Anpassungen, die der Patient vornehmen kann, so dass hier die Anforderungen und der Zeitaufwand noch höher sind.
In der letzten Zeit hört man immer wieder, dass Menschen, die länger ein DIY Loopsystem genutzt haben, nun auf kommerzielle Systeme umsteigen – und das, obwohl die DIY Systeme den kommerziellen Systemen noch in vielen Belangen überlegen sind. Was ist also der Grund für den Wechsel? Hier hört man auch immer wieder, dass die Einfachheit in der Bedienung, und in der Einrichtung die Gründe sind. Dies bedeutet, dass den individuellen Einstellungsmöglichkeiten die Einfachheit vorgezogen wird, auch wenn man damit auf verschiedene Features verzichten muss. Auch werden leicht schlechtere Ergebnisse (TiR) in Kauf genommen. Dies spricht dafür, dass DIY Loop Systeme schon sehr anspruchsvoll und fordernd sind. Somit gibt es die Looper, die den leichten Weg der kommerziellen Systeme vorziehen und solche, die gerne an dem System „arbeiten“ es weiter entwickeln und auf Optimierung aus sind. Hier sollte bei beiden Typen genau hingesehen werden, denn Loopen braucht gute Schulung und DIY Loopen braucht auch den Blick über die blanken Zahlen hinaus!
Um aber nochmals klar zu stellen: das Loopen mit AAPS hat mein Leben in vielerlei Hinsicht verändert – und zwar ausschließlich zum Positiven.

Meine Therapie ist flexibler geworden und hat mir mehr Lebensqualität gebracht. Die Vernetzung in der Community hat mir völlig neue Perspektiven eröffnet, Freundschaften beschert und ich habe unendlich viel gelernt und tue dies noch.
Ich bin dankbar dafür, diese Technologien zur Verfügung zu haben und nutzen zu können – das ist keine Selbstverständlichkeit! An der Sicherstellung der Verfügbarkeit von Technologien und vor allem von Insulin weltweit müssen wir dringend arbeiten.

Eine schöne Zusammenfassung. Es gibt den Spruch: Don’t let perfect be the enemy of good. Das sollten wir alle bedenken. Der Diabetes hat uns alle zu Kontrollfreaks gemacht. Wir mussten alle mit Ausbruch der Erkrankung auf BZ-Werte achten und verfolgten das Ziel, und im Normbereich zu halten. Mit dem Loopen klappt das wunderbar! Aber das Rangieren in Zielbereichen sollten wir dem System überlassen, denn wir sind Menschen und keine Rechner. Und wir sind viel mehr, als BZ-Kurven und Insulinmengen. Daher danke ich vielmals für deinen Artikel, der diesen Sachverhalt wunderbar beschreibt???